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September 22, 2025
5 Dinge, die Mittelständler bei Post-Merger Integration beachten müssen

Einleitung

Wenn zwei Unternehmen zusammenfinden, ist das zunächst ein großer Schritt. Die eigentliche Arbeit beginnt allerdings danach: die Integration. In meiner Beratungspraxis habe ich oft erlebt, dass gerade im Mittelstand die eigentliche Herausforderung nicht der Kauf selbst ist, sondern das Zusammenwachsen danach.

Während Konzerne häufig eingespielte Prozesse haben, stehen mittelständische Unternehmen hier vor besonderen Aufgaben: begrenzte finanzielle und personelle Ressourcen, eine sehr enge Bindung an die Eigentümerfamilie und eine Unternehmenskultur, die oft über Generationen gewachsen ist.

Ich habe beobachtet, dass etwa 60 Prozent aller Transaktionen nicht am Deal selbst scheitern, sondern an der Integration. Viele Projekte starten am Anfang mit großem Optimismus, geraten aber im Verlauf ins Stocken. Der Grund ist selten fehlende Strategie, sondern das operative Umsetzen – ganz besonders, wenn es um Organisation, Menschen und klare Prioritäten geht.

In diesem Artikel habe ich fünf zentrale Punkte zusammengestellt, die aus meiner Erfahrung den Unterschied machen können. Es ist kein theoretisches Rahmenwerk, sondern ein Playbook für die Praxis. Die Punkte lassen sich auch in kleineren Organisationen umsetzen und helfen, die begrenzten Ressourcen gezielt einzusetzen.

1. Klare Integrationsziele von Anfang an

Warum das wichtig ist

Viele mittelständische Übernahmen scheitern daran, dass nach der Vertragsunterzeichnung keine klaren Ziele für die Integration definiert werden. Man hat zwar eine strategische Vision, aber keine Antworten auf die praktische Frage: Woran erkenne ich in 6, 12 oder 24 Monaten, ob die Integration erfolgreich verläuft?

Konkrete Handlungsschritte

  1. Lege maximal drei bis fünf zentrale Ziele fest (z.B. Abschluss der IT-Migration, Erhalt von Schlüsselpersonal, Erreichung bestimmter Umsätze im Cross-Selling)
  2. Verknüpfe diese Ziele mit klaren Kennzahlen, die realistisch messbar sind:
    • Umsatzentwicklung beider Unternehmen
    • Kostensynergien (konkret in Euro)
    • Mitarbeiterfluktuation in Schlüsselpositionen
    • Kundenzufriedenheit (Beschwerden, Stammkunden-Anteil)
  1. Bestimme die Zeitschiene: Kurzfristig (0-6 Monate), mittelfristig (6-18 Monate), langfristig (18-36 Monate)
  2. Kommuniziere diese Ziele einfach und regelmäßig an alle Führungskräfte und betroffenen Teams

Praxisbeispiel

Ein Mandant aus der Automobilzuliefererindustrie übernahm einen kleineren Wettbewerber. Das Projektteam formulierte ein einziges, sehr klares Integrationsziel für das erste Jahr: Alle Kunden sollen spätestens nach 12 Monaten über denselben Vertriebsprozess bedient werden.

Dieses Ziel war für jeden verständlich, messbar und operativ handhabbar. Indem der Fokus bewusst eng gesetzt wurde, konnte das Projekt erfolgreich abgeschlossen werden, bevor komplexere Integrationsschritte angegangen wurden. Nach einem Jahr hatten sie ihr Ziel erreicht und dabei 15 Prozent der Vertriebskosten gespart.

2. Schlüsselpersonen halten und einbinden

Warum das wichtig ist

Gerade in mittelständischen Unternehmen hängt viel Wissen an Einzelpersonen. Verlieren Sie nach der Akquisition Schlüsselpersonen, kann das mehr Schaden anrichten als jedes IT-Problem. Oft liegt der Fehler darin, dass man zwar Verträge und Systeme zusammenführt, die Menschen aber zu spät in den Mittelpunkt stellt.

Konkrete Handlungsschritte

  1. Identifiziere die drei bis fünf Schlüsselpersonen sofort nach Vertragsabschluss
    • Wer hat die wichtigsten Kundenbeziehungen?
    • Wer trägt kritisches Fachwissen?
    • Wer hat Einfluss auf das Team?
  1. Führe persönliche Gespräche in den ersten vier Wochen und kläre ihre Rolle in der Zukunft
  2. Biete klare Perspektiven – sei es durch neue Aufgabenfelder, Entwicklungsmöglichkeiten oder mittelfristige Beteiligungen
  3. Stelle diese Personen als „Gesichter der Integration“ vor und gib ihnen aktive Rollen im Integrationsprozess

Praxisbeispiel

Bei einem Projekt im Maschinenbau waren zwei Entwicklungsleiter entscheidend für das technologische Wissen. Ohne diese beiden Personen wäre die Integration praktisch wertlos gewesen. Ich habe persönlich in den ersten Wochen Gespräche mit ihnen geführt, um ihre Rolle zu sichern und sie als Brückenbauer zwischen beiden Teams zu etablieren.

Das war Aufwand, aber es verhinderte Fluktuation und sorgte dafür, dass das Wissen erhalten blieb. Beide übernahmen später Führungsrollen in der integrierten Organisation.

3. Kulturelle Unterschiede ernst nehmen

Warum das wichtig ist

In vielen Mittelständlern ist die Unternehmenskultur durch eine Familiengeschichte oder einen regionalen Kontext geprägt. Wenn zwei Kulturen zusammenkommen, wirken Differenzen oft subtil – aber sie entscheiden darüber, ob die Kooperation funktioniert.

Unterschiede in Entscheidungswegen, Umgangston oder Arbeitszeiten können mehr Einfluss haben als strategische Pläne.

Konkrete Handlungsschritte

  1. Mach dir ein Bild von Werten, Gewohnheiten und unausgesprochenen Regeln beider Seiten:
    • Wie werden Entscheidungen getroffen?
    • Wie ist der Umgangston zwischen den Hierarchieebenen?
    • Welche Traditionen gibt es?
  1. Definiere eine gemeinsame Basis, die in der Kommunikation betont wird (z.B. Qualität, Kundennähe, Innovation)
  2. Erkenne Unterschiede offiziell an, statt sie zu übergehen oder zu ignorieren
  3. Richte einfache Brücken ein: gemeinsame Workshops, Patenschaften über Abteilungen hinweg, regelmäßige informelle Treffen

Praxisbeispiel

Ein Unternehmen, das ich begleitet habe, war sehr hierarchisch organisiert. Das übernommene Unternehmen arbeitete dagegen ausgesprochen informell. Beide Kulturen führten zu erheblichen Missverständnissen – etwa bei der Frage, ob Führungskräfte Entscheidungen abstimmen müssen oder eigenständig treffen können.

Erst durch moderierte Workshops, bei denen diese Unterschiede offengelegt und in klare Spielregeln überführt wurden, konnte die Zusammenarbeit stabilisiert werden. Das Ergebnis war ein hybrider Ansatz: Strategische Entscheidungen hierarchisch, operative Entscheidungen dezentral.

4. System- und Prozessintegration pragmatisch angehen

Warum das wichtig ist

Viele Mittelständler haben keine standardisierten IT-Systeme, sondern Lösungen, die über Jahre gewachsen sind. Nach einer Übernahme entsteht schnell die Versuchung, alles auf einen Schlag zu vereinheitlichen. Doch zu viel auf einmal führt fast sicher zu Überforderung.

Aus meiner Erfahrung dauern IT-Integrationen das Doppelte der ursprünglich geplanten Zeit und kosten entsprechend mehr.

Konkrete Handlungsschritte

  1. Folge der 3-Phasen-Regel:
    • Phase 1 (Monate 1-6): Stabilisieren – Beide Systeme parallel laufen lassen
    • Phase 2 (Monate 6-12): Harmonisieren – Datenschnittstellen schaffen, wichtigste Prozesse angleichen
    • Phase 3 (Monate 12-24): Integrieren – Systeme zusammenführen, endgültige Migration
  1. Starte mit den Kernprozessen, die direkt wertschöpfend sind: Vertrieb, Einkauf, Produktion
  2. Gehe nach Priorität vor: Welche Systeme beeinflussen Umsatz, Kundenservice oder Lieferfähigkeit?
  3. Verzichte bewusst auf „perfekte“ Lösungen in der ersten Phase
  4. Plane Meilensteine, die von gemischten Teams getragen werden

Praxisbeispiel

Ein mittelständischer Zulieferer wollte direkt nach Closing sämtliche Systeme harmonisieren – von ERP bis CRM. Nach einigen Monaten stockte das Projekt komplett, weil die IT-Abteilung schlicht überlastet war.

Erst als man die Strategie auf eine stufenweise Migration umstellte, beginnend mit der Bestell- und Lieferkette, konnte das Projekt wieder Fahrt aufnehmen. Eine schrittweise Vorgehensweise erwies sich als deutlich realistischer und kostete am Ende weniger als die ursprünglich geplante „Big Bang“-Lösung.

5. Frühzeitige und transparente Kommunikation

Warum das wichtig ist

Unsicherheit ist einer der größten Produktivitätskiller nach einer Übernahme. Mitarbeiter fragen sich: Behalte ich meinen Arbeitsplatz? Ändert sich mein Vorgesetzter? Auch Kunden reagieren sensibel, wenn sie nichts über die nächsten Schritte hören.

Gerade Mittelständler laufen Gefahr, zu spät und zu wenig zu kommunizieren, weil sie gewohnt sind, in kleineren, informellen Kreisen zu arbeiten.

Konkrete Handlungsschritte

  1. Lege einen Kommunikationsplan fest – mit festen Terminen und klaren Botschaften für drei Zielgruppen:
    • Führungskräfte: Wöchentliche Updates zu Fortschritten und Problemen
    • Mitarbeiter: Monatliche Informationsveranstaltungen, keine E-Mail-Flut
    • Externe Stakeholder: Kunden, Lieferanten, Banken – proaktiv informieren
  1. Sprich Mitarbeiter früh und offen an, auch wenn du noch nicht alle Antworten hast
  2. Kommuniziere auch nach außen: Kunden und Lieferanten sind Teil der Integration
  3. Wiederhole zentrale Botschaften regelmäßig, statt sie nur einmal zu senden

Was Sie kommunizieren sollten:

  • Den realistischen Zeitplan
  • Was sich ändert und was gleich bleibt
  • Welche Stellen betroffen sind (Ehrlichkeit schafft Vertrauen)
  • Ansprechpartner für Fragen
  • Konkrete Fortschritte und Meilensteine

Praxisbeispiel

Bei einem Familienunternehmen in der Lebensmittelbranche war die Unsicherheit nach einer Übernahme so groß, dass mehrere Leistungsträger das Unternehmen verlassen wollten. Erst als die Geschäftsführung einen monatlichen Jour fixe mit allen Mitarbeitern einführte und transparent über Stand und nächste Schritte berichtete, beruhigte sich die Lage spürbar.

Das Format war einfach: 15 Minuten vor der gesamten Belegschaft, keine PowerPoint, nur klare Ansagen. Das Ergebnis: Null Kündigungen in der Führungsebene während der gesamten Integrationsphase.

Schluss

Post-Merger Integration ist gerade im Mittelstand eine besondere Herausforderung. Nicht, weil die Aufgaben völlig anders wären als im Konzern, sondern weil die Ressourcen, Strukturen und Kulturen andere Ausgangsbedingungen schaffen.

Meine Erfahrung zeigt: Wer klare Ziele setzt, Schlüsselpersonen einbindet, kulturelle Unterschiede ernst nimmt, Systeme pragmatisch integriert und offen kommuniziert, erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit erheblich.

Es bleibt eine anspruchsvolle Aufgabe, aber sie ist machbar – Schritt für Schritt. Investieren Sie lieber 18 Monate in eine durchdachte Integration als drei Jahre in die Reparatur einer gescheiterten.

Die Ansichten in diesem Artikel basieren auf meinen persönlichen Erfahrungen.

Weiterführende Studien und Reports

Akademische Quellen:

Beratungsstudien & Reports:

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